Paul K.
Wenn ich jetzt drüber spreche, wissen alle von was ich rede, weil sie es alle erlebt haben. Aber, müsste ich es jemanden erklären, der, sagen wir, die letzten zwei, drei Jahre auf dem Mars verbracht hat, wüsste ich nicht wie ich das erklären sollte. Was soll ich sagen? „Da war eine Krankheit und dann waren wir alle zu Hause und das war krass.“?
Paul
From a visitor of the exhibition: about last year. lockdown photography at Willy-Brandt-Haus, Berlin
Anonym
hospitalized
From a visitor of the exhibition: about last year. lockdown photography at Willy-Brandt-Haus, Berlin
Pizza funghi & Kartoffel, Restedinner, 2022
Claude Bühler
Claude Bühler
Ausserhalb der Isolation tobt ein Sturm - wir spielen Märchen. Der
Versuch, zusammen zu leben; sich Familie zu sein, wo im bürgerlich
konventionellen Sinne keine ist. Gestern und morgen ist egal,
Davonrennen geht nicht. Die Idee, ein Daheim in einer schönen Utopie
zu erschaffen, auch wenn nur auf Zeit.
Outside the isolation, a storm is raging - we play fairy tales. The
attempt to live together; to be a family where there is none in the
conventional sense. Yesterday and tomorrow don't matter, running away
is not an option. The idea of creating a home in a beautiful utopia,
even if only for a while.
Anonym, Charlottenburg, 2022
Sebastian
Trübe Sicht
Fast den ganzen Tag bin ich heute mit den Medien-Bussen durch Peking
gefahren. Ich habe meistens den Bus genommen, vor dem die meisten
Menschen warteten, damit meine pseudo-touristischen Unternehmungen
möglichst unauffällig bleiben konnten. Durch das Fenster habe ich
versucht, einen flüchtigen Eindruck von der Stadt zu bekommen. Sobald
wir etwas näher an einigen Menschen vorbeifuhren, habe ich
fotografiert. Zumindest auf den Bildern sieht es nun ein wenig so aus,
als wäre ich tatsächlich in der Stadt gewesen. In meinem Unterfangen,
die Stadt aus der Blase heraus zu erkunden und die unüberwindbare
Trennung von drinnen und draußen zu übergehen, fühlte ich mich etwas
kriminell. Mein Fotografieren hat etwas spionagehaftes. Kann ich
Menschen so zeigen, obwohl sie mich gar nicht bemerkt haben? Müssen
meine Bilder in ihrer systembedingten Oberflächlichkeit nicht komplett
belanglos sein? Oder übe ich so bereits einen stillen Protest gegen
das System der totalen Abschottung aus? Und trägt der Busfahrer nicht
eine gewisse Co-Autorenschaft? Ich kann zumindest die Buslinien
nennen: TG-B-35, TG-B-09, TG-B-33, TG-B-31.
Sebastian
cut off
Berlin-Neukölln, 2021
Gartenzeit, 2020
Hände
Es war zum Beginn der Pandemie im März 2020, als vieles ungewiss und
unsicher war. Wir wurden dazu angehalten uns gründlich die Hände zu
waschen. Damit eine Form der Gründlichkeit gewährleistet werden
konnte, sollten die Kinder "Happy Birthday" dabei singen. Um nicht
jeden anstehenden Geburtstag mit diesem Narrativ zu belegen, gab es
alternative Sprüche wie: "Die Prinzessin mit dem langen Band wäscht
sich gut und lang die Hand." Bitte dreimal aufsagen und dann erst
abtrocknen. Die Hände wurden davon rauh und trocken über die Wochen,
kleine Risse und Spuren der Pandemie legten sich auf der Haut ab.
Carolin
Hände
Sterben
Sterben
Meine Großmutter war in meinem Leben eine wichtige Bezugsperson. Sie
passte oft auf mich auf, als ich ein Kind war, da meine Eltern noch
studierten in der DDR.
Sie starb mitten in der Pandemie, im Januar 2021. Sie lebte in der
Uckermark, schon immer, in dem gleichen kleinen Dorf am Rande
MeckPoms, seit 52 Jahren. Wenn sie krank war, ging sie selten zum
Arzt. Ihre eiserne Divse: Wat mutt, dat mutt. Wie alles gekommen ist,
kann ich kaum noch rekonstruieren. Ich erinnere Telefonate ins
Krankenhaus, in denen ich sie kaum am Telefon verstand. Nur Verwandte
1. Grades durften sie im Krankenhaus besuchen. Auf einmal war es
absehbar, dass sie es nicht mehr lange schaffen würde. Die
Pandemie-Regulierungen des Krankenhauses wurden umgangen, weil mit
ihnen kaum Menschlichkeit beim Abschied möglich war. Als Enkel*innen
durften wir uns nun doch verabschieden und sollten ganz schnell am
Eingang vorbei rennen.
Die letzten Worte, die meine Großmutter in einem Satz zu mir sagen
konnte waren: "Mach's gut mein Mädchen", das war zur Wintersonnenwende
am 21.12.2020, an ihrem Geburtstag.
Carolin
Auf unbestimmte Zeit
Viele Restaurants, Bars, Kneipen, Cafés mussten zu Beginn der Pandemie
schließen. Vor allen Dingen viele kleinere Eckkneipen, die so wichtige
soziale Orte für viele Menschen in den Kiezen sind und waren - Orte
der Begegnung, um der Einsamkeit auszuweichen, Orte des Miteinanders,
auch wenn am Ende des Monats nicht viel Geld übrig ist - viele dieser
Orte schlossen "auf bestimmte Zeit", ohne jemals wieder zu öffnen.
Berlin-Mitte, April 2020
Carolin
Auf unbestimmte Zeit
WALK THE LINE
WALK THE LINE
For the start of the summer term (2020) I asked my
students what images currently struck them the most in their every day
within the corona-crises: territorial boarders, the return to the
nation state and the prohibition of demonstrations came up.
For me it’s all these lines: on asphalt, barrier tapes, squares and
markings on sidewalks, which refer to notions of scale: How long are
1,5 meters? Which distance is too close? These notions are accompanied
by current shifts of spatial practices in "public" space and the way
in which public space is constituted as a space of encounters — one of
the very essence of life in the city.
Carolin
Outtakes aus der Serie "Von Kartoffelrosen und brennenden Baumkronen"
von Annemie Martin & Jana Kießer
Anonym
In den allerersten Tagen stellten wir fest, dass wir unbedingt
Desinfektionsmittel benötigen für alles, was von draußen kam und
irgendwie vorher von irgendwem angefasst worden war und somit
kontaminiert sein könnte, was sich später als Unsinn herausstellte,
aber zu dem Zeitpunkt wusste man noch nichts über die Übertragung
durch Aerosole. Mein Mitbewohner schlug vor, in die nächste Apotheke
zu gehen um dort welches zu kaufen, lenkte aber ein, dass er nicht
alleine gehen will, also gingen wir gemeinsam.
Die Menschen reihten sich vom Verkaufstresen über den Vorplatz bis auf
den Gehweg. Als wir an der Reihe waren, meinte die Apothekerin, dass
sämtliche Desinfektionsmittel schon ausverkauft seien und dass sie uns
nur hochprozentigen Alkohol verkaufen könne, eine Flasche Klosterfrau
Melissengeist, 475 ml für 23 €.
Da stand sie nun, die Flasche, in unserem Wohnungseingang direkt auf
dem Schuhschrank, mit dem Etikett, dessen Design sich wohl seit mehr
als hundert Jahren nicht geändert hatte. Die drei darauf in blau
gedruckten Nonnen hatten die Funktion von Schutzpatroninnen
übernommen, die die Fähigkeit besaßen, eine unsichtbare Gefahr von
außen abzuwehren und gleichzeitig einen herben alkoholischen
Kräutergeruch verströmten, den wir alle mit der Zeit mehr und mehr
verabscheuten.
Lisa